Die Zeiten, als Gebäude am Reissbrett entworfen wurden, sind längst vorbei. Die Digitalisierung hat die Baubranche erfasst, und doch ist die Transformation mit zahlreichen Hürden verbunden. Zudem kommt auf das Bauwesen mit der KI-Ära bereits der nächste signifikante Wandel zu.
Kugelschreiber und Papier haben ausgedient, stattdessen bildet das Tablet das Hilfsmittel der Wahl. Die Digitalisierung schreitet unentwegt voran und macht vor keinem Bereich und keiner Branche halt. So auch nicht vor dem Bauwesen, wobei in diesem Kontext die Digitalisierung gleich aus mehreren Gründen eine besondere Brisanz mit sich bringt.
Zum einen präsentiert sich dadurch in der Baubranche in mehrfacher Hinsicht ein enormes Potenzial. Dieses beginnt auf der Ebene der Nachhaltigkeit, denn ExpertInnen schätzen, dass durch digitale Prozesse der CO2-Ausstoss im Bausektor bis 2030 um bis zu 30 Prozent sinken könnte, was rund 15 Millionen Tonnen jährlich entspricht. Dies aufgrund einer cleveren Planung, weniger Materialverschwendung und der Maschineneinsatz kann effizienter gestaltet werden. Unter anderem können Drohnen und Roboter eingesetzt werden, um Baumaterialien zu zählen, Vermessungsdaten zu erfassen und den Baufortschritt zu dokumentieren, was wiederum Verzögerungen auf der Baustelle reduziert.

Eine zentrale Rolle kann die Methode des Building Information Modeling, kurz BIM, spielen, was in der Schweiz seit den 2010er-Jahren eingesetzt wird. Dabei wird ein digitales, modellbasiertes Abbild eines Bauwerks erstellt und verwaltet, was die Zusammenarbeit der Beteiligten am Bau fördert. Dabei handelt es sich nicht bloss um ein 3D-Modell, sondern um einen Prozess, der den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks von der Planung über die Errichtung bis hin zum Betrieb und Rückbau unterstützt. So sind auch Daten zu Materialien, Bauphasen, Kosten und anderen projektbezogenen Informationen enthalten. Auf diese Weise kann BIM zu Kosteneinsparungen, Zeitersparnis, erhöhter Effizienz und verbesserter Qualität führen.
Und doch macht dessen Einsatz nicht immer Sinn, wie Dominik Mahn betont. Er ist Gründer und CEO von Smartconext. Das Unternehmen ist unter anderem spezialisiert auf die Digitalisierung der Auftragsakquise in der Baubranche. Mahn sagt: «Wie mit digitalen Bauplänen wird auch mit BIM in der Praxis gearbeitet, jedoch fast ausschliesslich bei Grossprojekten. Beim Ein- und Mehrfamilienhaus arbeitet hingegen praktisch niemand mit BIM.» Dies im Gegensatz zum kommunalen Bereich und öffentlichen Raum, wo BIM teilweise als Standard vorausgesetzt wird. Die Methode habe sich also bis zu einem gewissen Grad durchgesetzt, wobei ein Einsatz bei kleineren Bauprojekten gar nicht notwendig sei, ist Mahn überzeugt. «BIM kann man getrost als Königsklasse im Bereich der Digitalisierung in der Baubranche bezeichnen – und diese braucht es nicht überall.»
Mit der VR-Brille lernen
Durch Virtual und Augmented Reality wiederum kann digital gezeichneten Bauplänen eine zusätzliche Dimension hinzugefügt werden, denn Gebäude und andere Produkte erfahren durch passende technische Hilfsmittel eine gänzlich neue Präsentation. Der Schattenwurf oder eine mögliche Einschränkung der (Aus)sicht kann auf diese Weise präzise simuliert werden, wodurch Bauprojekte durch diese Art der Sensibilisierung auf eine breitere Akzeptanz stossen können, wenn Betroffene wie Anwohnerinnen sich ein klares Bild machen können, was das Gebäude für konkrete Auswirkungen hat. «Bereits 3D-Rundgänge und digitale Visualisierungen können hier viel bewirken und werden auch schon gerne eingesetzt», erklärt Mahn, wobei er im Zusammenhang mit VR zu bedenken gibt, dass es unter Umständen organisierte Anlässe bräuchte, an denen Interessierten eine VR-Brille verteilt wird.

Auf der anderen Seite kann Virtual Reality zusätzlich als Schulungsmittel für Handwerker verwendet werden. Mit der aufgesetzten VR-Brille können sich die Beteiligten in das Umfeld der Baustelle versetzen und verschiedene Szenarien wie beispielsweise Gefahrensituationen simulieren. Vor Ort können Bauplaner und Handwerkerinnen dank der Visualisierung via AR wertvolle Informationen wahrnehmen, können unter anderem sehen, wo welche Leitungen durchgehen.
Für sichere Brücken
Neben der digitalen Ära erlebt die Baubranche aktuell eine zweite Transformation: jene der Ära der künstlichen Intelligenz. KI hat im Bausektor längst Einzug gehalten und auch hier sind die Möglichkeiten enorm. KI-Systeme können in Echtzeit überwachen, ob Bauprozesse wie geplant ablaufen, und frühzeitig auf Abweichungen oder Fehler hinweisen. Dadurch werden Nachbesserungen und teure Fehler vermieden. Ausserdem besteht so die Möglichkeit einer präziseren, effizienteren und ressourcenschonenderen Planung von Bauprojekten. Smarte Technologien erhöhen zudem die Sicherheit auf Baustellen, indem sie Risiken frühzeitig erkennen und Massnahmen vorschlagen und auch für Ingenieurinnen bieten KI-Assistenzsysteme neue Möglichkeiten, wenn für die Entwicklung neuer Bauwerke verschiedene Design-Optionen vorgeschlagen sowie Sensitivitätsanalysen zu Kosten, Sicherheit und Nachhaltigkeit geliefert werden.

Ein konkretes Beispiel, wie KI in der Praxis erfolgreich in der Baubranche eingesetzt werden kann, liefern Forschende der ETH Zürich, die in Zusammenarbeit mit den SBB neue Vorhersagemodelle unter Einsatz von Algorithmen des maschinellen Lernens entwickelt haben, um die Lebensdauer bestehender Eisenbahnbrücken zu verlängern und Ressourcen zu schonen. Konkret handelt es sich um ein KI-Modell für Stahlbeton-Eisenbahnbrücken, die in der Schweiz besonders häufig vorkommen. Das Modell liefert dabei eine erste Einschätzung der Tragsicherheit. In einem zweiten Projekt entwickelten die Forschenden einen KI-Assistenten, der Ingenieurinnen beim Entwurf neuer Brücken unterstützt und sichere, kosteneffiziente und nachhaltige Brückenstrukturen ermöglichen soll.
Es braucht Daten
Das Potenzial sowohl durch die digitale Transformation als auch die Implementierung von KI ist also enorm, doch muss dieses erst ausgeschöpft werden können, was sich aus mehreren Gründen herausfordernd gestaltet. So wird in der Schweizer Baubranche gerne an Bewährtem festgehalten, wie auch Dominik Mahn bestätigt. «Auch aufgrund des Fachkräftemangels können es sich die Akteure wegen der scheinbar fehlenden Dringlichkeit zudem leisten, skeptisch gegenüber Innovationen zu sein, selbst wenn diese in mehrfacher Hinsicht Vorteile mit sich bringen würden.»
Kommt hinzu, dass für den technologischen Fortschritt, KI-basierter Natur umso mehr, insbesondere ein Faktor eine essenzielle Basis bildet: Daten. Zumal es für fachspezifische Bedürfnisse spezialisierte und eigens trainierte Fach-KIs braucht, wobei die Grundbasis für ein reibungsloses Funktionieren bildet, dass diese mit strukturierten, vertrauenswürdigen Datensätzen trainiert werden. «Diese Daten fehlen uns noch – ebenso die personellen und finanziellen Ressourcen, um eine entsprechende KI aufzubauen und zu implementieren», erklärt Gianluca Genova im Gespräch mit dem «Baublatt». Genova ist Experte für die digitale Transformation der Bau- und Immobilienbranche und Vorstandsmitglied von Bauen digital Schweiz, einer Plattform für die digitale Transformation der Schweizer Bau- und Immobilienwirtschaft.

Erschwert wird die Bildung eines umfassenden und präzisen Datensatzes durch den Umstand, dass in der Branche ein ausgeprägtes Konkurrenzdenken herrscht. Der Aufbau von Datenpools mit homogenen Daten wird dadurch behindert, da individuelle Methodiken «zu einer Vielzahl inkompatibler Datenformate, Softwarelösungen und Fachbegriffe führen», wie Genova ausführt.
Was ist mit den Arbeitsplätzen?
Mahn und Genova sind sich einig, dass KI kein Allheilmittel in der Baubranche darstellt, sondern gezielt eingesetzt unter anderem zu einer Effizienzsteigerung führen kann, indem zum Beispiel Routineaufgaben automatisiert werden. Der Gedanke daran, mag mancherorts bereits die Alarmglocken schrillen lassen, ob dies nicht mit einem signifikanten Verlust von Arbeitsplätzen einhergehen mag. Dominik Mahn kann in diesem Zusammenhang beruhigen. «Gewisse Berechnungen gehen davon aus, dass eine von drei Arbeitsstellen in der Baubranche durch KI ersetzt werden könnte – dies ist aufgrund des vorherrschenden Fachkräftemangels jedoch kein Grund zur Besorgnis.» Zumal dabei auch Jobs darunter seien, die auf der Beliebtheitsskala nicht unbedingt einen vorderen Platz einnehmen.
Unisono betonen Mahn und Genova zudem, dass bei der technologischen Entwicklung aktuell ein enormes Tempo vorherrscht – was heute noch in den Kinderschuhen steckt und noch nicht ausgeforscht ist, kann morgen bereits skaliert und markttauglich sein. Umso wichtiger ist für Bauunternehmen wie auch weitere Interessengruppen, geeignete Ansprechpartner zu haben, um bei Bedarf auf angereichertes Wissen zurückgreifen und sich austauschen zu können. In der Schweiz gibt es in diesem Zusammenhang durchaus Plattformen, die diesen Zweck erfüllen. So zum Beispiel das bereits erwähnte Bauen digital Schweiz, welches Institutionen, Verbände und Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette umfasst oder übergeordnet das Netzwerk_digital, ein Zusammenschluss zentraler Branchenakteure, wobei die Plattform sich für einen branchenübergreifenden Dialog und die Koordination der digitalen Transformation im Planungs-, Bau- und Immobilienwesen einsetzt.